Sonntag, 17. August 2008

Udo Steinke

Die Buggenraths
Roman

Ein «epischer Instinkt» trieb Thomas Mann zu dem «vom Verfallsgedanken überschatteten Kulturgemälde» Die Buddenbrooks. Mit ihm prophezeite der Lübecker den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft. Für das Opus um eine vier Jahrzehnte andauernde Talfahrt einer bürgerlichen Familie erhielt Mann 1928 den Nobelpreis. Der DDR-Emigrant Udo Steinke führt Die Buggenraths respektlos wieder hinauf zum Gipfel bourgeoiser Glücksseligkeit: eine veritabie Absage an die Sisyphusianer.

Sohn Max Emanuel Buggenrath alias Thomas Buddenbrook ist «als Abgeordneter einer neuen, demokratischen Partei» eingezogen «in den Ersten Deutschen Bundestag». Daß sein alter Parteichef sich verbrannt hatte, «war noch lange kein Fanal» für einen Abkömmling jener «seltenen deutschen Familien im Hintergrund, die bis heute jeden gesellschaftlichen Kontakt meiden, nie über Geld reden, es unbemerkt ausgeben und es noch unbemerkter sackweise verdienen». Steinkes Anspielungen auf bürgerliche Wiederaufrüstung sind vollgepackt mit historischen Kenntnissen und strotzen vor Ironie.

Sollte Steinke nach diesem literarischen Höhenflug die Fabulierlust nicht ausgegangen sein, wird ihn sicher bald ein noch Höherer empfangen als der Oberste Bayerische Kultussolist Hans Maier, der ihm 1980 in fürstlicher Manier den Bayerischen Literaturpreis verlieh. Denn so viel fröhliche, wenngleich manchmal stilistisch zu aufgepfropfte Anarchie dürfte unser Literaturpreisgefüge gerade noch aushalten.

Vorwärts Spezial 47.1981, S. 30

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Doppeldeutsch
Erzählungen

1980 erhielt Steinke für seinen Erstling Ich kannte Talmann nach einem vieldiskutierten und umstrittenen Alleingang des bayerischen Kultusministers Hans Maier den Literaturpreis des Freistaats. Wie man auch immer über diese hanebüchene und selbstherrliche Entscheidung denken mag — verdient hat das literarische Unikum Steinke diese Auszeichnung allemale. Denn auch sein mitterweile viertes Buch beweist, was dieser aus der DDR stammende Autor kann: nämlich Geschichten erzählen wie einer, von dem man sagt, man müsse ihm das Maul extra totschlagen für den Fall, daß er einmal das Zeitliche gesegnet haben sollte. Zumal diese Fabulierlust gekrönt wird von einer sprachlichen Erfindungsgabe, die zirzensische Ausmaße annimmt: dreifache Salti, als ob's Purzelbäume wären.

Es geht in diesen neun Erzählungen um die Erlebnisse Steinkes diesseits und jenseits der «Zonengrenze», die er seiner Phantasiebegabung entsprechend ausgeschmückt hat.

Da erinnern sich ein sowjetischer General und ein amerikanischer Oberst, die sich 1945 an der Elbe bei Torgau noch mit «Bruderküssen bewarfen», daß sie genau dort in Tante Thates Behausung Deutschland trennten, wo die Wodkaflaschen-Batterie lagerte.

Oder ein aus dem Zuchthaus Bautzen entlassener «Politischer» erfahrt als Anhalter auf der Transitstrecke, wie schnell man im Westen sein kann, wenn man den 287 Luxuspferden einer Westkarosse in den Bauch tritt und dabei einen Ostführerschein hat.

Sehr deutsch ist dieser kleine Grenzverkehr, aber eben doppeldeutsch.


Vorwärts Spezial 2.1985, S. 17

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